Gendergaga

Drei Kamerateams sind positioniert, inklusive des ZDFs, denn die Humboldt-Universität bringt den aktuellen Streit um den Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht zu seinem Grande Finale: Unter dem Titel “Meinung, Freiheit, Wissenschaft – Der Umgang mit gesellschaftlichen Kontroversen an Universitäten” wird im direkten Anschluss an Vollbrechts Nachholtermin medienwirksam reflektiert, bereut und gerügt.

Der Anlass: Die junge (und linke) Biologin hatte es gewagt einen Vortrag mit dem Titel: »Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt« anzukündigen. Wegen »Sicherheitsbedenken« hatte die Humboldt-Uni ihren umstrittenen Gender-Vortrag dann abgesagt, da Linke Jurastudenten Proteste gegen die aus ihrer Sicht transfeindlichen Positionen Vollbrechts angekündigt hatten.

Die Aufarbeitung dieses Vorfalls ist fast noch skurriler als die Tatsache, dass Jurastudenten biologische Realitäten leugnen. Schnell wurde klar, in welchen Ecken des Saals welche Ansicht dominierte. An den vorhersehbaren Stellen grölten, buhten und lachten mal die linken Aktivisten, mal die Vollbrecht-Unterstützer.


Aus dem Urlaub zugeschaltet schwebte Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, in riesiger Zoom-Übertragung hinter der Szenerie. Vor ihr sitzend Peter Frensch, kommissarischer HU-Präsident, der die gesamte Zeit sitzen blieb, während sich um ihn herum die Interessenvertreter und fachkundigen Podiumsgäste die Klinke in die Hand gaben. Stark-Watzinger als Diskurswächterin spielte ihre Rolle gut: Nachdem sie mit aller Deutlichkeit jegliche Queer- und Transfeindlichkeit, überhaupt Menschenfeindlichkeit, in Bezug auf Vorträge an der HU ablehnte, endete sie damit, dass sie im Falle Vollbrechts “die Inhalte gar nicht im Detail kenne”.

Doch die Phrasen funktionieren auch ohne Bezug zum Thema: Die Wissenschaftsfreiheit sei “ein hohes Gut, das geschützt werden muss”, da Deutschland – da ist Stark-Watzinger ganz stolz drauf – auf Platz 1 des “academic freedom index” steht. Gleichzeitig sei sie aber auch “freudiger Teil einer Regierungskoalition, die das Selbstbestimmungsgesetz vorangetrieben hat”. (Wir erinnern uns, jede Person kann ab dem 14. Lebensjahr ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern lassen.)


Man hatte das Plenum so gestaltet, dass möglichst wenig über die Causa gesprochen wird und trotzdem jeder zu Wort kommt. Während der HU-Präsident über Sicherheitsbedenken bezüglich der Absage sinniert, erklärt ein Jura-Professor das Gemenge aus Wissenschafts-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Während Jenny Wilken von der “Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.” in Vollbrecht “keine unschuldige Wissenschaftlerin” sieht, da sie “rechtsextreme Narrative” bediene und “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” verbreite, spricht der Aktivist und Wissenschaftler Heiner Schulz auf explizite Nachfrage jederzeit als beides zugleich. Paper und Pamphlet sind in solcher Weltsicht das gleiche. Die Prüfung der Kontaktschuld schlägt jedes wissenschaftliche Verfahren.


Noch das spannendste der drei Einzelplena war die Konfrontation zwischen Vollbrechts Doktorvater, dem Biologie-Professor Rüdiger Krahe, und der im Bereich “Gender und Science” forschenden Professorin Kerstin Palm. Hier ging es zum ersten Mal um die Sache. Krahe stellte fest, dass Vollbrechts Vortrag ein “Grundkurs Biologie” ist und so ähnlich in jedem Biobuch steht. Palm möchte aber “die verschiedenen Auffassungen, was biologisches Geschlecht ist”, zur Kenntnis genommen wissen. Hierfür verweist sie auf Pilzsorten, die mehrere tausend Geschlechter haben; eine Person im Publikum ruft “Menschen sind keine Pilze”; Krahe antwortet fachkundig, dass es sich in diesem Beispiel ohnehin nicht um Geschlechter, sondern Reproduktionstypen handele.


Ein Mitglied des “Arbeitskreises kritischer Jurist*innen”, welcher die Proteste angeführt hat, beteiligte sich auf der Bühne an der Diskussion, sprach viel über “transfeindliche Äußerungen” Vollbrechts außerhalb des Vortrags. Jenny Wilken führte den Vorwurf später noch weiter vom Vortrag weg: Vollbrecht sei bei einer Organisation vernetzt, wo auch jemand sei, der wiederum Vernetzungen zu einer noch schlimmeren Organisation hätte. Und dann folgte: “Wer transfeindlich ist, bestimmen nicht die Anderen, sondern die Betroffenen”.


Der Abend schloss damit, dass Frensch Besserung gelobte und zukünftig bei der Langen Nacht der Wissenschaften die Vorträge besser scannt, evaluiert, aussortiert, wegen der Wissenschaftsfreiheit, versteht sich. Diese Aufgabe überlasse er aber natürlich den einzelnen Fachbereichen, ebenfalls wegen der Wissenschaftsfreiheit. Stark-Watzinger wiederum überlasse diese Entscheidung als vorbildliche Politikerin natürlich Frensch. Die perfekte Mischung aus Verantwortungsdiffusion, Feigheit und Angst.


Alle haben ihre Rolle gefunden inklusive der linken Aktivisten. Sie fanden in drei von sieben Personen auf dem Plenum ihre Interessenvertretung abgebildet, die Politik konnte sich als künftige Diskurswächterin anempfehlen, die HU konnte sich viel auf ihre vorgebliche Wissenschaftsfreiheit einbilden, die dem fachlichen Konsens folgenden und widersprechenden Wissenschaftler auf der Bühne konnten ihren Unterwerfung unter den politisierten akademischen Betrieb zelebrieren.

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