Die Brücke nach Asien

Die Brücke nach Asien. Das Tor zum Nahen Osten und nach Europa. Die Türkei wird seit Jahrhunderten als ein Land zwischen der westlichen und östlichen Welt betrachtet. Sei es wegen der türkischen Militärmacht , oder wegen der Drohungen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, den Millionen von der Türkei beherbergten Flüchtlinge „die Tore“ nach Europa zu öffnen: Die Türkei stellt Deutschland und Europa in den letzten Jahren zunehmend vor vollendete Tatsachen.

Die Türkei ist militärisch in den wichtigsten Konflikten in ihrer Region engagiert und hat ihre weltweite Militärpräsenz in den letzten Jahren extrem ausgebaut. Der türkische Einfluss reicht vom Balkan bis zum Horn von Afrika. Jahrzehntealte Konflikte mit den Nachbarn Griechenland, Zypern und damit auch der EU um die Abgrenzung von Territorialgewässern, ausschließlichen Wirtschaftszonen und die Nutzung des Festlandsockels sind 2020 wieder eskaliert. Verstärkt mischt sich die Türkei in innenpolitische Debatten anderer Staaten ein und beansprucht offen eine Führungsrolle in ihrer Nachbarschaft. Vor dem Hintergrund der amerikanischen Abwesenheit im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten findet derzeit daher eine Machtverschiebung statt. Unabhängig von ihren westlichen Bündnispartnern verfolgt die Türkei zunehmend eine eigenständige Machtpolitik die Deutschlands Regierungsparteien nicht verstehen können. 

Die Türkei möchte sicher keine imperiale Macht sein. Die neo-osmanische und islamistische Rhetorik dient dem türkischen Präsidenten in erster Linie zur Erhaltung seiner Macht. Er will innen- wie außenpolitisch als starker Mann wahrgenommen werden und so Verhandlungsmasse für Gespräche zum Beispiel mit der EU oder Russland schaffen. Erdogans eigentliches Geschick besteht darin, Schwachstellen im internationalen System auszunutzen und Gelegenheiten zu finden, Russland und den Westen gegeneinander auszuspielen. Es ist trotzdem zu einfach, die aktuelle türkische Außenpolitik alleine mit der Persönlichkeit eines Recep Tayyip Erdoğans zu erklären.

Vielmehr ist es wichtig, die Außenpolitik der Türkei in einem breiteren historischen Kontext zu betrachten, um zu erkennen, dass die gegenwärtige Politik in der Nachbarschaft rein strategischer Natur ist und einer tief verankerten türkischen Realpolitik folgt. Eine Kunst der Deutschland schon länger abgeschworen hat. Diese ist keineswegs ein neues Phänomen. Die in der westlichen Betrachtung präsente Überbewertung des Islams als Grund für die türkische Außenpolitik verkennt die Komplexität und Hintergründe der türkischen Sicherheitspolitik.

Welche Rolle wird die Türkei im Rahmen globaler Machtverschiebungen einnehmen können?

Traditionell ist die türkische Außenpolitik geprägt von ebenjenen historischen Erfahrungen des Osmanischen Reiches, der geostrategischen Lage des Landes sowie der politischen Ideologie seiner kemalistischen Gründerväter. Nicht weniger als die ultimative Schutzmacht der Turkvölker will Erdogan schaffen. Eine West-Ost-Achse von der Türkei ausgehend über Georgien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan und Afghanistan. Flankiert von den USA und Israel. Historisch ein Mittelding zwischen dem Reich Alexander des Großen und dem Reich von Tamerlan und seiner Goldenen Horde. Nun könnte uns das völlig gleichgültig sein, wären nicht vitale Interessen unserer Nation in Form von Handelsrouten und Energietransfers davon betroffen. Zudem tritt die Türkei hier in eine direkte Konfrontation mit der Nord-Süd-Achse bestehend aus Russland, Armenien und dem Iran. Zudem ermöglicht das türkische Südostanatolien-Projekt mit insgesamt 22 Staudämmen, 19 Wasserkraftwerken und Bewässerungsanlagen entlang der beiden Flüsse Euphrat und Tigris direkte Einflussnahme auf Syrien und den Irak. Mit Hilfe dieser riesigen Bewässerungsanlagen soll eine Fläche von 1,7 Millionen Hektar zwischen den beiden Flüssen bewässert und so zur landwirtschaftlichen Nutzung erschlossen werden. Das entspricht fast der Größe Thüringens und ermöglicht es der Türkei Wasser als politisches Machtinstrument einzusetzen.

Wendepunkt im Kaukasus und in Zentralasien

Russlands bereits jetzt katastrophale Situation könnte sich durch ein stärkeres Engagement der Türkei in den Turkstaaten und in Armenien zementieren. Abgeschnitten von westlichen Investitionen und Technologien, der neuen Seidenstraße zu China, dem Pipelinenetz seiner ehemaligen Vasallenstaaten und kulturell isoliert könnten die Probleme für Russland gerade erst beginnen. Dass die Türkei keine Angst vor dem Koloss auf Tönernen Füßen hat, zeigte bereits der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Armee nahe der türkisch-syrischen Grenze am 24. November 2015. Nicht zu vergessen teilen die Türkei mit den Staaten im Kaukasus und Zentralasien sowohl Kultur als auch Religion, während Russland dort seit dem 17. Jahrhundert entweder als mordbrennende Invasoren oder als kommunistische Diktatoren wahrgenommen werden. Sollte Russland der Zugang zum Herzland der Welt verloren gehen, während seine Armee in der Ukraine verblutet, wäre der einzige Gewinner des Krieges in der Ukraine Recep Tayyip Erdoğan und die Türkei. Eine Regionalmacht auf die sich Deutschland bereits jetzt Energiepolitisch einrichten sollte.  

rh

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